DOKUMENTATION:
Backyard - Im Hinterhof der Hölle

Ausgabe: DVD
Produktion: 2002
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The Backyard (Originaltitel)
Hinterhöfe. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und trotzdem Kinder. Das ist die Welt derer, für die Wrestling alles ist. Ein Traum, dem sie nacheifern, ein Ziel, das sie erreichen wollen.
Lizard ist ein dürrer Mann und nur sein Gesicht und seine wirren, langen, blonden Haare erinnern an einen Wrestler. Er sammelt Wrestling-Spielzeugfiguren, ist Vater eines Kindes und denkt ernsthaft darüber nach, Polizist zu werden (er wird allerdings nicht auf der Akademie aufgenommen). Auf den Hinterhöfen der verschiedensten Städte schlägt er sich blutig und er glaubt ernsthaft daran, es auf diesem Wege in die richtigen Arenen schaffen zu können.
Da sind zwei Brüder. Ihre Mutter hilft ihnen, Zweikämpfe zu organisieren. Sie denken sich immer neue Methoden aus, um dem anderen Schmerzen zuzufügen. Glühbirnen und Neonröhren in einer Grube, in die einer den anderen hineinwirft. Ein Brett mit Stacheldraht darauf und in Brand gesetzt, darunter die Grube. Der ältere Bruder wirft den jüngeren krachend auf das Brett. Die Freunde und Freundinnen nehmen alles mit der Videokamera auf. Die Mutter untersucht die beiden anschließend notdürftig auf Wunden.
Da ist ein 17jähriger, der Hinterhofkämpfe organisiert. Auch hier werfen sich Jugendliche in die Flammen.
Da sind Hardcore-Kämpfer. Sie schlagen mit Baseballschlägern aufeinander ein, um die sie Stacheldraht gewickelt haben. Stolz berichten sie davon, dass sie nicht zu diesen Weicheiern gehören, die vorher die Stacheln nach innen biegen. Sie überschreiten so viele Grenzen wie möglich. Hier wirft man sich nicht in die Flammen, hier besprüht man sich aktiv mit Spiritus, um hinterher ein Feuerzeug an den Gegner zu halten.
Alles nur Show? Blut muss fließen, dabei hilft das
Bladen. Mittels einer Rasierklinge fügen sie sich in einem von der Kamera unbeobachteten Augenblick Wunden zu. Es gibt die anderen, Kinder von Kleinstädten, wo alles etwas ordentlicher ist. Die Eltern unterstützen die kleinen Shows ihrer Kinder. Die Schule hilft bei der Organisation. Die Jugendlichen halten ihre Altersgenossen aus den Wüsten und Slums nicht für richtig im Kopf. Es gibt die englischen Kids, die ihren Pendants aus Arizona in nichts nachstehen.
Und da ist der Lizard wieder. Er bekommt eine echte Chance. Aus einer Menge von tausenden Bewerbern gehört er zu 250, die nach Las Vegas zum Vorsprechen eingeladen werden. Er hat Pech. Einen Kampf in der Unabhängigen Wrestling Liga scheut er. Die Gewalt dort ist echt. Schließlich nimmt er die Strapazen eines professionellen Wrestlings Trainings auf sich. Am Ende wartet sein erster Kampf im Pay Tv auf ihn. Der Kampf dauert nur Minuten, aber er hat seinen Traum erfüllt.
Man könnte den Machern der Dokumentation vorhalten, dass die Kamera das Verhalten der Gefilmten geradezu provoziert. Doch wie sehr kann eine Kamera eine Mutter provozieren, ihren Söhnen dabei zu helfen, sich gegenseitig zu Klump zu schlagen. Was könnte einen Jugendlichen dazu veranlassen, einen anderen anzuzünden, bis dieser wahrhaftig in Flammen steht.
Als Zuschauer sitzt man vor diesem Film, fassungslos und zweifelt zunächst. Doch wenn die Szenen sich aneinanderreihen, die Akteure wechseln, ein Hinterhof den nächsten ablöst, bleibt nur ein Schluss zu: dieser Wahnsinn ist echt.
Gewalt ist eine Sache. Eine Dokumentation darüber eine andere, doch Akteure, reale Menschen, die nebensächlich und belanglos mit Gewalt umgehen, sind ein ziemlicher Schocker. Ein englischer Jugendlicher verletzt (bladet) eine empfindliche Stelle an seiner Kopfhaut und hört nicht mehr auf zu bluten. Die Kamera ist immer dabei. Es hat den Anschein, als würde sie ihn anspornen, tapfer zu sein und weiter mehr auf die Kamera zu achten als auf sich selbst. Wenig später holt eine besorgte Augenzeugin einen Krankenwagen.
Mitleidslosigkeit ist das Fazit der Dokumentation oder, wie es sich selbst genregemäß nennt, der Schokumentation. Die Kamera folgt ohne Mitleid und beinahe alle agieren ohne Mitleid gegenüber anderen und sich selbst. Ab und zu blitzt Vernunft auf: besorgte Elternteile, verantwortungsvolle Jugendliche. Aber diese Beispiele geschehen am Rand. Backyard Wrestling ist für jene, die es betreiben, ein Ausbruch, eine Flucht, ein Ziel. Niemand kann es ihnen vorwerfen. Eine riesige Industrie gaukelt ihnen jeden Tag das Wunderland Wrestling vor.
Die Bildqualität, die eben nicht in jenem Hochglanz daherkommt, zerreißt den Traum der Jugendlichen auch optisch. Die Synchronisation wird dem Original gerecht und muss an dieser Stelle besonders gelobt werden. Die Ausstattung ist einer Dokumentation auf DVD angemessen und sein animiertes Menü mit Flammenschrift wird dem Inhalt gerecht (wenn er auch etwas reißerisch mit dem Inhalt umgeht und ihm ein Stück der Ernsthaftigkeit nimmt).
Die objektive Distanz zum Thema macht die Dokumentation zu einer ernsthaften Berichterstattung eines Phänomens unserer Gesellschaft.
[
mn ]
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