DER KLEINE KRIEGER:
Der Unterhandel #6

"Wer wird sein Nachfolger werden? Du?"
"Die Tchok werden den Stärksten aus ihren Reihen in das Kollegium wählen, wie sie es immer getan haben."
"Da du Anführer eines starken Heeres bist, denke ich, dass du für diese Wahl zur Verfügung stehst. Kein Schwächling wird Krieger befehligen können", sagte Hutzel beherzt. Wenn du verrückter Tchok schon keine richtigen Gefühle kennst, arbeitet dein Verstand wenigstens ein bißchen, dachte er.
"Du bist wirklich mutig, kleiner Krieger. Kein Tchok würde eine lose Rede gegen mich führen, so wie du es machst." Ruckartig hob Mon'Tchok seinen Körper in die Höhe. "Ich werde mit Tl'umrak sprechen! Mon'Tchok ist stark.."
Eigentlich hätte Hutzel an diesem Punkt des Gespräches zufrieden sein müssen. Eigentlich hätte er auf dem schnellsten Wege den Tchok zu Tl'umrak zerren müssen. Doch eigentlich wollte er wissen: "Warum?"
Der Kopf des Insektoiden fuhr herum. "Es stellt dich nicht zufrieden, dass ich meine Zustimmung gebe?"
"Ich - ein Ergebnis soll durch eure Regeln gestützt sein, ist es nicht so? Wenn du nicht der Stärkste bist ..."
"Kein Tchok wird ein Ergebnis in Frage stellen!"
Hutzel verneigte sich. Außer Sicht des Insektoiden spiegelten sich Hoffnung und verdrängte Angst in seiner Miene wider. "Dann werden auch die Umrak das Ergebnis nicht in Frage stellen. Ich wollte nur sicher sein."
Die Kämpfer der Umrak hatten einen perfekten Kreis um die Verhandelnden gebildet. Tl'umrak wägte jedes seiner Worte ab. Aus ihm sprach das Alter, wenngleich der kleine Krieger auch nicht wusste, wie betagt der Umrak wirklich war.
Mon'Tchok unterstrich seine Einwürfe mehr mit Gesten, als er es Hutzel gegenüber getan hatte. Es war nicht leicht, dem Gespräch zu folgen. Offensichtlich beinhalteten diese Gesten Zeichen, deren Bedeutung dem kleinen Krieger unbekannt waren. Er verglich es mit den Dialekten, die auch unter den Dreggen zuweilen für Missverständnisse gesorgt hatten. Verstohlen warf Hutzel Longear seitliche Blicke in die Menge. Er wartete auf die Rückkehr seines Freundes. Keinfussabhand hatte einen Auftrag zu erfüllen, der für ein Wesen ohne Sprache vielleicht unmöglich war.
"Das Abkommen wurde durch die Tchok gebrochen, nicht durch die Umrak!" betonte Tl'umrak einmal mehr. "Warum sollen sich ausgerechnet die Umrak einer Vergeltung verwehren? Aus Mon'Tchok spricht Schwäche, weil er sich vor dem Untergang seines Volkes fürchtet!" Die letzte Geste des Tchok musste das alte Ratsmitglied über Gebühr gereizt haben, anders konnte sich Hutzel diesen Ausbruch nicht erklären.
"Ihr solltet nicht in Beleidigungen verfallen. Das ist Kriegern eures Schlages nicht würdig", beschwichtigte der kleine Krieger. Redet, dachte er, wer redet, kann sich nicht gleichzeitig gegenseitig auffressen.
"Ich bin nicht - beleidigt", stellte Mon'Tchok fest. "Ich verstehe die Gründe der Umrak für diese Haltung. Ihr Glaube an den eigenen Untergang ist unter den Djeloscha bekannt. Weshalb sonst hätten meine Krieger ihre Arbeiter angefallen? Die Tchok werden überleben, weil sie es wollen. Die Umrak haben bereits aufgegeben und teilen es jedem mit."
"Hungrige Krieger sind Zeichen!"
Während er versuchte mit Hilfe seiner langen Ohren fremde Geräusche aufzufangen, mischte sich Hutzel wieder in das Gespräch ein: "Was für Zeichen?"
"Zeichen für schlechte Versorgung. Für eine mangelnde Zahl von Arbeitern, welche die Krieger versorgen können. Deshalb lassen sich die Tchok auf eine Stufe mit den Meerish herab!" erwiderte Tl'umrak bissig. Einem landwirtschaftlich orientierten Volk musste Aasfresserei die widerlichste Form der Nahrungsaufnahme bedeuten.
Hutzel enthielt sich eines Kommentares. Umherziehende Arbeiter einfach aufzufressen, war für ihn als Weichwesen nicht nachzuvollziehen. Er wartete auf eine Antwort von Mon'Tchok, den Tl'umraks Feststellung zum ersten Mal schockiert zu haben schien. Der Tchok stand starr aufgerichtet. Seine Fühler sanken herab, die glänzenden Augen brachen sich im wechselhaften Licht. Weitere Schwärme der Meerish tanzten Todesboten gleich vor der am höchsten Punkt stehenden Sonne.
"Es war ein Unfall", brachte Mon'Tchok zögernd hervor. "Ein Tchok ist kein Meerish. Wir haben eine Kultur."
Wieder griff Tl'umrak den Tchok mit Worten an, während sich sein Kontrahent zunehmend hilfloser zeigte. In diesem Durcheinander die Ruhe zu bewahren, war kaum zu bewältigen. Um so mehr spitzte Hutzel die Ohren und setzte noch mehr auf seinen Freund, den er zur Eile gemahnt hatte. Er hoffte, Keinfussabhand würde sich nicht irgendwo den Bauch vollschlagen.
Die Klauen der Umrak scharrten die Erde auf. Allerorten erklang plötzlich ein Klacken, das der kleine Krieger nicht hatte kommen hören. Sein scharfes Gehör hätte eine Vorwarnung geben sollen.
Hunderte von Umrak teilten sich zu einer Schneise, deren Linie genau zum Verhandlungsplatz führte. Am Ende der langen Schneise liefen elegant die Arbeiter der Umrak auf sie zu, begleitet vom immer lauter werdenden Klacken ihrer Kiefer.
Zur selben Zeit stieg auch das Brummen der Meerish an, denn ebenfalls unzählbare Krieger ihres Volkes hoben ab. Hinter dem kleinen Krieger bildete sich eine weitere Schneise, die den Blick auf das Ufer des Flusses freigab. Noch mehr Arbeiter waren zu sehen. Sie bedeckten den Fluss. Lebendige Körper bildeten eine Brücke, über die Drohnen um Drohnen rannten. Ihr Anrücken geriet hektischer, unachtsamer. Mitunter fiel eine von ihnen in den Fluss Chortach, wurde mitgerissen, tauchte unter und trieb von dannen. Aufmerksame Meerish gingen in eine Art Sturzflug über und stachen mit ihren Kampfstäben nach den leblosen Körpern, rissen mit den Dornen ihrer Kriegswerkzeuge Stücke heraus und jagten mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Lüfte davon, verfolgt von Artgenossen, die ihnen den Fang entwenden wollten. Das Geschehen hätte einem Albtraum entsprungen sein können. Die für Hutzel fremdartigen Geräusche erfüllten die Luft, die Gerüche wurden unerträglich. Tl'umrak drehte sich im Kreise, rempelte den kleinen Krieger an, stieß ihn um. Hutzel unterdrückte einen Fluch. Drohnen der Tchok und Umrak drängten sich durch die Schneisen zum Verhandlungsplatz hin. Inmitten des Farbenfeuerwerks der segmentierten Körper der Insektoiden packte Hutzel eine Klaue und hob ihn auf den Rücken eines Umraks.
"Verzeih", murmelte Tl'umrak bestürzt. "Ich verstehe nicht, was passiert."
"Ich auch nicht", jammerte Hutzel auf, weil sein Hosenboden von pieksenden Haaren des Umrak-Rückens durchdrungen wurde.
Ein Schnaufen drang an seine Ohren. Eine grüne Hand klammerte sich an seine Schulter, schnaufte ihm nun noch herzhafter ins Ohr. Der Walddämon grinste wölfisch. Ich habe es geschafft, sollte das heißen. Ein neues Schnaufen und ein Stups zwischen die Schulterblätter. Und jetzt mach was daraus, sollte das bedeuten.
Hutzel umarmte seinen Freund kurz, fasste dann nach dessen Hand und versuchte wackelig auf dem Rücken des aufgeregten Umrak zu stehen. Wohin er auch sah, es wimmelte von Drohnen beider Volksgruppen. Zu Beginn des Aufmarsches hatte er sie farblich auseinander halten können, nun jedoch war das Durcheinander so groß geworden, dass er nur noch Körper, Fühler und Beine unterschied. Wer zum wem gehörte, wer konnte das noch sagen?
"Was seht ihr?" rief der kleine Krieger. "Was seht ihr? Tl'umrak, Mon'Tchok, antwortet mir! Was seht ihr?" Das Ratsmitglied und der Anwärter auf das Kollegium schauten so eben noch aus dem Meer der Drohnenleiber heraus. Mon'Tchok versuchte sie beiseite zu drängen, um sich Platz zu verschaffen.
"Unsere Drohnen", presste Tl'umrak hervor.
"Befiehl deinen Drohnen, sie sollen mir Platz machen, bevor ich Gewalt anwende, Tl'umrak!" schrie Mon'Tchok.
"Das sind nicht meine Drohnen, das sind deine und dort und dort, da drüben sind meine!"
Hutzel sprang über die wogenden Körper näher an Mon'Tchok heran. "Ihr könnt sie nicht auseinander halten, nicht wahr? Sag mir, Mon'Tchok, wo sind deine Arbeiter? Ist das hier ein Arbeiter der Tchok?" Er deutete auf den Insektoidenrücken unter seinen Füßen.
Es musste Verzweiflung sein! Mon'Tchok wurde hin und her gerissen. Das Farbenspiel der Arbeiter beider Volksgruppen ging ineinander über. Nirgends gab es mehr einen Anhaltspunkt - die Arbeiter sahen gleich aus! Der große Tchok-Krieger sonderte aus seinem Maul ein zähes Sekret ab.
"Ich weiß es nicht!" donnerte seine Stimme über den Pulk hinweg.
Der kleine Krieger sprang weiter. "Du weißt es nicht, weil sie eins sind! Hast du mich gehört, Tl'umrak? Eure Arbeiter sind eins! Nicht zwei Völker, sie sind eins!"
Mon'Tchok und Tl'umrak sahen sich an.
Ende
Quelle: Der kleine Krieger
[ mn ]

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