DER KLEINE KRIEGER:
Geisterjagd #08

Es war Zufall, dass einer der Grimmschis einen Blick in die Höhe warf. Das selbstzufriedene Grinsen des Sklavenjägers erstarb sofort. Ein großer weißer Krieger raste von oben auf ihn zu. Die Zeit, den viel kleineren Walddämonen zu entdecken, blieb nicht mehr.
Der Geist hatte sein Schreien aufgegeben. Dafür geriet die Aufregung unter den Grimmschis umso lauter. Die Umstehenden, die den Vorfall gesehen hatten, rannten davon. Wieder einmal schien sich ihre Vermutung bestätigt zu haben, dass Gebäude nichts waren als die Heimstatt von Geistern. Einzig der Anführer bewahrte die Fassung, jedoch nicht allzu lange, denn ein Geist bedeutete möglicherweise es mit dem Verstorbenen einer Beute zu tun zu haben. Und der Rache einer Beute ging man am besten aus dem Weg. Er schloss sich den fliehenden Kameraden an.
Gemeinsam rannten die Grimmschis aus dem Schein des brennenden Turmes in die zunehmende Dunkelheit des ehemaligen Kasernenhofes. Dort blieben sie wie auf ein Kommando stehen.
***
Feeial war zum Fenster gestürmt. Unten sah sie das Tohuwabohu, die fliehenden Grimmschis und - entgegen aller bisherigen Erfahrungen - den Geist, der immer noch mit dem Walddämonen rang.
"Bei den Göttern! Es brennt. Die Grimmschis haben den Turm in Brand gesetzt. Wir kommen nicht mehr über die Treppe raus!"
Rotan schaute ebenfalls hinaus. Der Rauch ließ seine Augen tränen. Über seine Schulter gelehnt schaute Hutzel Longear zu den Kämpfenden hinab. Auch seine Augen tränten, aber nicht des Rauches wegen.
"Der Geist lebt noch. Aber er sollte nicht, oder?" Die Vampirelfe zog sich vom Fenster und dem beißenden Rauch zurück.
"Wir müssen uns wohl doch abseilen", knurrte Rotan, dem das Leben oder Ableben des Geistes in diesem Moment völlig gleichgültig war. "Und wir müssen zusehen, wie wir Ka helfen. Dieses Ringen kann nicht mehr lange dauern."
Feeial zog die gebogenen Messer und die dazugehörigen Seile aus Rotans Taschen. Die Messer waren bereits richtig befestigt. Nun galt es, sie auch ohne weitere Verzögerung an einer stabilen Stelle des Daches zu verhaken. Es war eine Notlösung. Einer eingehenden Musterung durch einen professionellen Dieb - wie Feeial einer war - konnte diese Vorrichtung nicht standhalten.
"Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!" rief Rotan lauthals. Das Prasseln der Flammen im Turm war unüberhörbar, selbst für einen alten Dreggen. "Wenn das Feuer diesen Raum erreicht, ist es mit uns vorbei!"
"Ich mache ja schon." Feeial warf den ersten provisorischen Haken aus dem Fenster das Dach hinauf. Es gab ein Poltern wie von einem zerbrechenden Dachziegel, gleich darauf fielen ihrem Kopf Scherben und der Haken entgegen. Sie versuchte es erneut, warf und hatte endlich mehr Glück. Der Haken blieb oben. Sie ruckte daran und das Seil straffte sich. Feeial nickte Rotan zu.
"Halt dich gut fest", sprach der Dreggen zu dem kleinen Krieger auf seiner Schulter.
"Als hinge mein Leben davon ab!" rief Hutzel dem Freund ins Ohr. Der lächelte zurück.
"Wir kommen schon rechtzeitig unten an. Vertrau mir."
***
Keinfussabhand fühlte Schmerzen, große Schmerzen. Das Blut des Geistes war wie Gift. Es war eisig kalt und brannte trotzdem in seiner Kehle. Einen kurzen Moment hatte er die Grimmschis gesehen, auch den, den sie bei ihrem Sturz unter sich begraben hatten. Die Kälte des Geistes breitete sich zunehmend durch seine Adern aus, pulsierte in den Blasen auf seiner Haut. Es war eine Frage der Zeit, wann er den Kampf aufgeben und sich zurückziehen musste.
Dieser Geist hatte seinen Freund angegriffen und dafür sollte er büssen. Dem Walddämonen war es gleich, ob dieses Wesen bereits für einen Frevel mit seinem untoten Dasein bezahlte oder ob ein Schwur ihn am Leben erhielt. Keinfussabhand gab erschöpft das Bein des Gardan'Gre frei.
Dieser spürte den nachlassenden Schmerz. In Qualm des Feuers aus dem Turm und Rauch seiner dampfenden Hände gehüllt, kroch er außer Reichweite des Walddämonen. Die beiden Gegner schauten sich in die Augen, einen quälenden langen Moment. Auch der Geist war am Rande seiner entkörperlichten Kräfte. Ein Gefühl, das er seit unzähligen Jahren nicht mehr empfunden hatte.
Der Moment verging. Keinfussabhand sprang den Feind ein letztes Mal an, geradewegs auf dessen Kehle zu.
***
Während Rotan sich an der Außenmauer zusammen mit dem kleinen Krieger hinabhangelte, befestigte Feeial das zweite Seil am Dach. Gerade als sie den beiden Freunden zu folgen gedachte, fiel ihr etwas im Raum auf, an das sie nicht mehr gedacht hatten. Die Truhe! Rotans und Hutzels Abstieg war schon zu weit gediehen, um sie noch an ihr eigentliches Unterfangen erinnern zu können. Auch war es zweifelhaft, ob sie in diesem Augenblick selbst daran denken sollte. Feeial zögerte. Das Geräusch der im Turm wütenden Flammen war zu einem tosenden Rauschen geworden, das jedes andere Geräusch überdeckte. Die Vampirelfe beschwerte das Seilende im Raum mit ihrem Schwert. Anschließend zog sie einen Dolch hervor, eilte zu der Truhe und rammte die Dolchspitze in den Spalt unter dem Truhendeckel. Sie stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Dolchgriff. Ein Knacken ertönte. Das alte Schloss gab nach.
Wird fortgesetzt.
Quelle: Der kleine Krieger
[ mn ]

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