DER KLEINE KRIEGER:
Geisterjagd #03

Am Himmel taten sich keine Wolken auf. Ohne jegliches Hindernis gleißte das Sonnenlicht auf die öde Landschaft. Was hätte der kleine Krieger nicht für ein paar Palmen gegeben? Aber hier gab es nichts, was der Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Rotan und Feeial setzten ihre Suche nach Verstecken fort. Der Dreggen lehnte sich weit über Gebühr aus einem Fenster, griff nach dem Dachvorsprung und bekam diesen doch bloß ganz knapp zu fassen. Ihr aller Unterfangen schien aussichtslos. Der Geist würde auch dorthin gelangen können und falls nicht, brauchte er sich nur geduldig vor einem der Fenster zu platzieren, um den Eindringling wenn schon nicht zu fangen, so doch abzuwehren.
Ein Abenteuer, ja, das war es. Leider war es auch ein Abenteuer, dessen Möglichkeiten sich schnell erschöpften.
Hutzel fasste für sich die wichtigen Einzelheiten zusammen. Bei Tage gab es keinen Schatz, noch einen Wächter. Bei Nacht wurde der Schatz sichtbar und auch der Wächter. Der Wächter war böse und stark - alle, bis auf Keinfussabhand, hatten dies am eigenen Leibe erfahren müssen. Der Turmeingang war eine unsichtbare Grenze, die der Geist nicht passieren konnte. Im übrigen Festungsgelände waren sie ihrer Haut sicher. Der Geist war schnell, viel zu schnell. In solchen Fällen empfahl sich ein Angriff von mehreren Seiten. Bloß, welche Seite wählte man, wenn es nur einen Zugang gab und sich alles andere gegen einen verschworen zu haben schien? Nein, resignierte Hutzel, sie sollten wahrhaftig ihr Unterfangen beenden, nach Niando Nalhap Dendo reisen und dort herausfinden, wer die anderen am besten mit Kaktusschnaps unter den Tisch trinken konnte.
Vor ihm, irgendwo hinter den flirrenden Hitzestreifen über der Wüste, lag die kleine Wüstenstadt mit ihren Schnapsbrennereien. Hinter ihm lagen die fruchtbaren Regionen. Nicht weit davon befand sich Rotans Lehen. Sehnsüchtig hielt Hutzel Ausschau nach einer Bewegung, einem Vogel, einer Wüstenkreatur, nach einem winzigen Zeichen von Leben in dieser trostlosen Umgebung.
Zuerst wusste er nicht, ob seine Augen und innigen Wünsche ihm nur einen Streich spielten. Eine Staubfahne, schmal und zögerlich aufsteigend, tauchte auf dem Kamm eines Dünengürtels auf. Der kleine Krieger schirmte mit einer Hand die Augen gegen das unbarmherzige Sonnenlicht ab. Inmitten der wachsenden Wolke aus feinstem Sand und Dreck zeichneten sich Silhouetten ab, deren Umrisse Hutzel jedoch nicht genau ausmachen konnte. Die Gestalten ritten offenbar. Ihre Fortbewegung erfolgte auf einer horizontalen Linie, nicht hintereinander, wie es bei Karawanen üblich war. Jemand, der derart durch die Wüste unterwegs war und nichts tat, um seine Anzahl zu verschleiern, fürchtete einen Feind nicht.
Und er würde in der kleinen Gruppe von Abenteurern ebenfalls keine Bedrohung sehen, vielmehr leichte Beute.
***
Dort, wo einst das Zentrum des Innenhofes der Festung gewesen war, brannte ein Lagerfeuer. Gedrungene und verzerrte Schatten tanzten über Mauern und Turm.
Unweit der Festung, hinter einer niedrigen Düne, verbarg sich die kleine Gruppe von Abenteurern. Keinfussabhand, der Walddämon, blieb von der Heimlichkeit um sich herum unbeeindruckt. Er nutzte die Gelegenheit sowie die Kühle des Bodens für einen erholsamen Schlaf. Seinen Kameraden hingegen war der Sinn nach Erholung vergangen.
"Sie widern mich an!" sprach Rotan so leise sein Zorn es eben zuließ.
Feeial kroch neben den Dreggen. Sie hatte die Gegend um die Festung auskundschaftet. "Wir sind hier sicher. Die Grimmschis haben im weiteren Umkreis keine Wachen aufgestellt. Wachgänger gibt es nicht. Weiß jemand, ob sie Dunkelheit fürchten?"
Rotan fing sich wieder. Mit gesenkter Stimme antwortete er: "Niemand weiß etwas genaues über sie. Ich sah sie im Tross unserer Truppen ziehen, aber sie ließen nie jemand richtig in ihre Nähe. Bei Kolra, ich kenne keinen einzigen Dreggen, der ihre Sprache spricht."
"Es hat den Anschein, als sei es eine ganz normale Rast. Wenn ich mich nicht täusche, verstanden habe ich sie natürlich auch nicht, sind sie in heiterer Laune." Feeial bleckte die Fangzähne.
Hutzel musterte sie von der Seite. "Durst?"
"Auf die? Nein!" erwiderte Feeial mit aufrichtiger Ablehnung.
"Sie wollen bestimmt nach Niando Nalhap Dendo, Sklaven fangen", mutmaßte der kleine Krieger.
"Wuffel und Dracoluun sind keine guten Sklaven", warf Rotan ein.
Feeial schlug dem alten Krieger einen Ellenbogen in die Seite.
"Nicht, dass ich Sklaven hätte!" ereiferte sich Rotan. "Ich rede von ihrer … Ach, was geht es mich an? - Was machen wir jetzt?"
"Schade", murmelte Hutzel gedankenverloren.
"Was ist schade?" Rotan war nicht in der Stimmung zu erraten, was seinem Gefährten gerade durch den Kopf ging.
"Es ist schade, dass sie nicht den Turm betreten. Ich bin sicher, sie würden sofort flüchten."
"Oder den Schatz sehen und auf die gleichen Gedanken kommen wie wir!" Feeial kniff dem kleinen Krieger in das linke Ohrläppchen.
"Au!" entfuhr es Hutzel. "Ich meine doch bloß. Sie sehen nicht sehr mutig aus."
"Du kennst sie nicht", warf Rotan ein. "Sie sind mutig, sofern es ihren Zwecken dient und es genügend von ihnen sind. Ich habe einst gesehen, wie zehn von ihnen auf einen Gardan'Gre losgingen. Es war kein schöner Anblick. Er unterlag, obwohl er diesen Wichten an Kraft überlegen war." Rotans Stirn legte sich in Falten. "An Grimmschis war etwas besonderes, aber ich habe vergessen, was es war. Es muss etwas wichtiges gewesen sein." Er erwiderte Hutzels schelmischen Blick. "Ja, ich werde alt. Aber wehe dir, du sprichst es aus!"
"Sollte das die Ablenkung sein, die wir brauchen?" Feeial hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
"An was denkst du?" fragte Rotan.
"Das solltest du niemals eine Frau fragen, Rotan. Das ist oberstes Gesetz bei meinem Volk", entfuhr es Hutzel mit einem breiten Grinsen.
Feeial wuschelte dem kleinen Krieger die feuerrote Haarpracht durcheinander, bis ihm die Haare alle ins Gesicht hingen. "Ich denke", sprach Feeial mit Nachdruck, "dass sich uns da eine Gelegenheit bietet. Ich habe sogar eine Idee. Und dafür müssen wir alle in das Geschehen eingreifen, auch unser kleiner, glitschiger Ka."
Wird fortgesetzt.
Quelle: Der kleine Krieger
[ mn ]

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